Queer-Springer SSV

Schachsportverein
für Schwule & Lesben

OQT 2010 - Blog

Montag, 5. April 2010

Gehupft wie gesprungen?!

von MarcR • 22:31 • 3. Runde

Immer mal wieder finde ich mich während einer Partie in einer unangenehmen Zwickmühle: der Blick auf die Stellung sagt mir, dass es Zeit ist, die Gangart zu verschärfen und es taktisch werden zu lassen; aber gleichzeitig verrät mir der Blick auf die Uhr, dass ich eigentlich nicht genügend Zeit haben werde, um die entstehenden Komplikationen zu berechnen. So hab ich dann die Wahl, mich langsam in die Niederlage hineinquälen zu lassen oder aber nach vorne zu stürmen und mit wehenden Fahnen unterzugehen (na gut, manchmal klappt es ja auch).

Mein Gegner war 200 Punkte stärker als ich, ich hatte nichts zu verlieren und entschied mich für den offenen Kampf.


Ich spielte eine Caro-Kann-Nebenvariante, die mein mir gänzlich unbekannter Gegner Christian A. zunächst wohl unterschätzte. Ich kam unbeschadet und sehr gut aus der Eröffnung.
Im 15. Zug schlossen wir die Entwicklung mit entgegengesetzten Rochaden ab und begannen jeder an "seinem" Flügel die Steine in Stellung zu bringen.. Nach dem 18. Zug von Schwarz (Df6-e7, ein erstes Zugeständnis) hatten wir die Diagrammstellung erreicht.

Ich entschloss mich, die ungünstige Stellung der Dame sofort auszunutzen mit:
19. Sxc6, bxc6 20 d5, h4


Und hier hab ich wohl schon gepatzt. Ich spielte 21. Se2? und empfand das nicht als Zeitverlust, weil der Springer über d4 oder c3 in den Angriff eingeschaltet werden kann. Aber Christian zog 21. ..., c5! und dichtete damit alles so weit ab, dass er die Zeit für Verteidigung und Gegenangriff bekam.

Bei der anschließenden Analyse im Foyer fand ich 21. d6 viel besser, um sofort alles zu öffnen (21. ..., Dxd6 22. c5). Aber das war so komplex, dass man das am Brett nicht alles durchrechnen konnte. Schade! :-(

Trotzdem war es eine coole Partie, aber morgen muss ich dann doch mal wieder gewinnen.

HolgerF, 06.04.2010 12:28

Ohne Rechnerhilfe, ohne Gewähr:

Ist es denn wirklich so, dass du im 21. Zug gepatzt hast? Meines Erachtens war das Figurenopfer einfach überoptimistisch. Sicher ist 20. ... h4 nicht zwingend, es räumt dir die Chance zu 21. d6 erst ein.

In der Ausgangsstellung fällt auf, dass die schwarzen Figuren etwas unglücklich aufgestellt sind (Sb6, Th6). Dafür war der Tausch des Springers gegen deinen schwarzfeldrigen Läufer evtl. gut für Schwarz. Insgesamt scheint mir aber Weiß doch besser zu stehen.

Hälst du es für möglich, dass der Fehler einfach darin bestand zu denken, du müsstest dich in vorteilhafter Stellung entscheiden, dich "in die Niederlage hineinqälen zu lassen oder ... mit wehenden Fahnen unterzugehen?"

Für diese Art Panik war m.E. überhaupt kein Anlass zu sehen. Nach einem einfachen 19. Se4 z.B. ist es eher Schwarz, der sich überlegen muss, wie er das langsame Siechtum abwendet! Tut er nichts, kann z.B. Sc5 nebst a2-a6 folgen. Eine weitere Idee ist Td1, Df3, Sxb7 mit mehr Angriffspotenzial als in der Partie.

Du kannst zwar schön kombinieren, aber ich glaube nicht, dass du es nötig hast, gegen einen 1800er mit Gewalt Verwicklungen anzustreben.

MarcR, 06.04.2010 14:18

Hm. Ich glaube, mein Problem ist, abzuschätzen, wie viel Zeit ich noch für eigene Vorbereitungen hab und wie gefährlich gegnerischer Angriff ist, der auf mich zurollt. Manchmal schätze ich die Möglichkeiten des Gegners eher zu stark ein, manchmal unterschätze ich sie. Da hilft wohl nur Erfahrung und Übung?
Hier dachte ich jedenfalls, ich müsste schnell was tun, bevor mein Gegner es tut.

Eine andere Schwierigkeit ist es, "nichts" zu tun, ohne dass es die Stellung beschädigt. Se4 hatte ich ja gesehen, aber ich dachte, nach Lxe4 fehlt mir eine Verteidigungsfigur und ich mache dem Turm die g-Linie frei.

Für solche Stellungen hoffe ich auf besser werdende Intuition durch Erfahrung. Oder kann man es üben?

HolgerF, 06.04.2010 21:18

Jetzt noch mal, nachdem mich vorhin die blöde Hauptstadt-Frage rausgekegelt hat:

Objektiv würde ich sagen:
Der Sg3 ist keine brauchbare Verteidigungsfigur. Er befördert ja durch seine schäbige Aufstellung sogar noch schwarzes h5-h3. Die g-Linie ist fest geschlossen. Eine gewaltsame Öffnung durch Schwarz würde mindestens auch die f-Linie und damit f7 freilegen. Das geht so schnell wahrscheinlich nicht. Deshalb würde ich von einem rollenden schwarzen Angriff nicht sprechen. Nach Se4 ergeben sich auch ganz konkrete Ideen, z.B. Sc5 und a2-a6 oder auch Df3, Sxb7 und Dxc6 mit deutlich größerem Angriffspotenzial als in der Partie.

Und subjektiv: Du musst einfach keine Angst vor vermeintlich übermächtigen Gegnern haben. (Ich weiß, ist leichter gesagt ...) Vielleicht hilft diese Überlegung: Wenn jemand wirklich so gut ist, dann hilft es dir sicher nicht, wenn du deine objektive Stellungseinschätzung hintan stellst und nach Eingebung der Panik spielst. Allerdings glaube ich, dass unter 2600 keiner zaubern kann, und ganz sicher hatte der Schwarze nach der Eröffnung seinerseits kräftigen Muffengang, dass du ihn einfach zusammen schieben wirst.