6. Runde - 26.10.2009
Wenn beim Schweizer System die gegnerische DWZ dreistellig wird, ist das ein sicheres Zeichen
dafür, dass in dem Turnier gründlich etwas schiefgelaufen ist.
Die Höchststrafe, denn den Sieg muss man sich nun nicht mal mehr selbst erarbeiten, sondern bekommt
ihn von seinem Gegenüber geradezu aufgedrängt; und selbst über den Gewinn an sich kann man sich nicht
so recht freuen, weil der DWZ-Schnitt soweit runtergezogen wird, dass die eigene Wertungszahl
nicht mehr zu retten ist.
Wie ein armer Sünder begab ich mich also heute zum Spiellokal und war bereit, Buße zu tun für
meine vorangegangenen Fehltritte. Wie immer spukte dabei irgendetwas Musikalisches durch den Kopf,
und es war überaus passend zum Anlass.
Eigentlich hätte ich heute (mit Weiß) gerne meine Jazz-Eröffnung aufs Brett gebracht, ich hatte
aber Angst, dass man mir das als Respektlosigkeit gegenüber meinem Gegner auslegen würde. So
beschränkte ich mich darauf, es mit einem stürmischen Gambit zu probieren, das ich bisher nur
in Blitz- und Schnellpartien angewendet hab.
Der arme Stefan wusste nicht, wie ihm geschah (ach, wie gut ich das kenne...) und sah sich in
dieser Stellung schließlich zur Aufgabe genötigt:
Meine Pflicht war erfüllt, einfacher als ich befürchtet hatte, und nun konnte ich erstens die
mitgebrachten Rumkugeln genießen und zweitens auch interessiert um die Bretter meiner Vereinskollegen rumkugeln
und -flanieren.
Auf Wanjas Brett erblickte ich dies:
Es passiert häufiger, dass Wanja Züge macht, die ich nicht verstehe, und die meinem oberflächlichen
Positionsgefühl widersprechen, die aber den Vorteil haben, dass sie die taktischen Untiefen seiner
Stellungen besser umschiffen.
Hier hätte ich jetzt intuitiv 23. Tc7 gespielt. Weiß steht schon besser und verstärkt sich weiter
mit einem lästigen Turm auf der 7. Reihe. Jedoch, Wanja begann nun mit den Läufern in der gegnerischen
Stellung herumzuwildern; insbesondere der Bauer auf e5 hatte es ihm angetan. Schwarz musste nun sehr
genau spielen, tat dies auch, und kurze Zeit später war Wanja zunächst sein Läuferpaar los, und dann
auch noch den zweiten Läufer, und zwar ersatzlos.
Schade! :-(
Und nun zu Sonja!
Während ich noch spielte, unterhielten wir uns kurz am Beckenrand, wobei Sonja ihren Gegner mit
Schimpfworten belegte, die ich bisher noch gar nicht in meinem Vokabular hatte, und die ich hier
auch nicht wiedergeben kann, nein, nein.
Stand es wirklich so schlimm um sie??
Ich fand, dass der Mann eher lustig aussah, aber Sonja war wohl beim gerade beendeten Lichtenrader
Herbst mit ihm aneinandergeraten und rettete noch etwas von ihrem Groll in diesen Abend hinüber,
was ihrem Spiel sehr gut tat.
Sonja und die alten Männer
Ihr Gegner spielte sicher nicht schlecht, aber sie piesackte ihn immer wieder mit kleinen
lästigen Zügen, die ihn in langes Grübeln versetzten.
Vor allem hier:
Nach ..., Dh5!!
Geschlagene 25 Minuten grübelte der arme Mann hier über seinen Zug, ein Verhalten, das mir selbst ja
nicht ganz fremd ist. Ziemlich sicher war deshalb dieser Zug der für das Ergebnis entscheidende.
Schließlich entschied er sich dann doch zum Damentausch mittels 2. Dd5+, Dxd5 3. cxd5, g5 4. e4.
Und jetzt hat Schwarz da einen lästigen rückständigen Bauern auf c7, den man unangenehm belagern
kann.
Wanja und ich verließen den Saal, um beim Blitz ein bisschen zu chillen. Als ich zwischendurch nochmal
auf Sonjas Brett schaute, sah ich zwei rückständige schwarze Bauern (c und g) und einen gefährlich
aktiven weißen König. Es sah nicht so gut aus.
Ich ging wieder Blitzen und Rumkugeln essen, und als ich viel später wieder die Arena besuchte,
kam ich gerade rechtzeitig, um des Dramas Höhepunkt und Katharsis mitzuerleben.
Erwartungsgemäß hatte Weiß seine Vorteile zu einer theoretischen Gewinnstellung verarbeiten können.
So ähnlich sah es aus. (Symbolfoto)
Aber nun rächte sich das zu langsame Spiel des Weißen, denn während Sonja noch 40 Luxusminuten auf der Uhr
hatte, war es bei dem lustigen Herrn noch etwas mehr als 1 Minute.
Hatte dem armen Mann denn keiner gesagt, dass er in Zeitnot nicht mehr mitschreiben musste?
Wohl nicht. Und Sonja tat es auch nicht.
Sie spielte ungerührt weiter, ich sah gebannt zu und konnte mich nur wundern, wie lang eine
Minute sein kann, wenn man nicht selbst am Brett sitzt. Zug um Zug brachte der Herr aufs Brett und
das Blättchen wollte einfach nicht fallen.
Weiß tauschte die Damen, rannte mit dem Bauern zur achten Reihe, wandelte um, trieb den schwarzen
König an den Rand...
(Symbolfoto)
...und zwei Züge vorm Matt hatte die Uhr endlich ein Einsehen mit der armen, tapferen, eisernen
Lady Sonja und ließ erschöpft das Blättchen fallen.
Weil ihr Material nicht zum Mattsetzen geeignet ist, wertete der Schiedsrichter dies als Remis.
Für Sonja war es trotzdem ein gefühlter Sieg.
Was für ein Spektatkel!
Und weil diese Partie eine der letzten war, die zuende gingen, erfuhren wir auch gleich die Auslosung für die letzte Runde, die uns ein besonderes Osterei beschert: Sonja und ich werden dann vereinsintern die Klingen kreuzen!
[MarcR]