Queerspringer SSV

Turnierblog Eckbauer-Open 2009

Turniertagebuch: Eckbauer 2009

7. Runde - 2.11.2009

Von Topalov lernen, heißt siegen lernen!…

…und so kam ich, als ich überlegte, was ich zur letzten Runde denn wohl anziehen sollte, auf die Idee, den Kampf um den Punkt mit psychologischer Kriegsführung zu begleiten. Das Hässlichste, was in meinem Kleiderschrank zu finden war, sollte es sein, möglichst bunt und nervtötend. Ich fand zwei Sachen: ein Shirt von 1992, das ich von einem damaligen Freund geschenkt bekommen hatte, und das ich seit mindestens 15 Jahren nicht mehr anhatte, bemalt mit Blumen, einem Frosch und verziert mit einer großen, hässlichen, billigen Brosche und mit dem Schriftzug "Mit Sicherheit Minicherheit" versehen; und ein schreigrünes elektrisierendes Polyesterhemd mit kleinen schwarzen Punkten. Dieses Hemd hatte ich seit genau vier Jahren nicht mehr an. Mir fiel sofort ein, warum ich es überhaupt besaß: es gehörte zu meinem Bühnenoutfit, als ich im November 2005 bei dem Musikwettbewerb "Die Goldene Rose von Monströs" den männlichen und den weiblichen Part des Duos Cinty & Roma repräsentierte. Damals gewann ich diesen Wettbewerb mit dem Song Petit piti pas, eine schöne Erinnerung, die mich darauf brachte, diesen Song mal wieder anzuhören. Ich hörte ihn zwei, drei mal und so blieb er als Echo den Abend über im Kopf.
So kam es zu dem seltenen Fall, dass ein eigener Song zum Soundtrack eines Abends wurde.

Cinty & Roma: Petit piti pas

Ich konnte mich nicht entscheiden, und entschied mich, einfach beides anzuziehen, also das quietschgrüne Hemd unter dem blau-bunten Shirt.

Als ich im Spielsaal ankam und meine Jacke auszog, schauten mich einige Leute recht seltsam an (und taten es auch den Rest des Abends), aber da musste ich jetzt durch.
Dann kam Sonja und ich spürte, dass mein psychologischer Trick funktionierte. Sie wusste schon bei der Begrüßung nicht, was sie sagen sollte und konnte während der Partie bestimmt keinen klaren Gedanken fassen.
Vielleicht war es ihr auch einfach nur peinlich, dass ich im selben Verein spielte wie sie.

Und dann wurden die Bretter freigegeben, und der Tanz begann.

Ich hatte mir im Vorfeld überlegt, wie Sonja (mit Weiß) wohl anfangen würde, und - falls 1. e4 - welche Sizilianisch-Variante sie eigentlich spielt. Seltsamerweise wusste ich das nicht. Eine Langsampartie haben wir bisher nur mit vertauschten Farben gespielt, und an die wenigen Blitzpartien konnte ich mich nicht mehr erinnern.
Sicher würde sie mich mit irgendetwas ganz Abstrusem überraschen.

Ich hatte mir umsonst Sorgen gemacht. Es kam ein entspanntes geschlossenes Sizilianisch aufs Brett, das ich zwar im Nahschach noch nie gespielt hab, das sich aber doch recht einfach und selbst-erklärend spielte.
Sowieso brauchten wir einige Zeit, um überhaupt einen gewissen inneren Ernst zu entwickeln, um eine vernünftige Partie zu spielen.

Meinen sechsten Zug kommentierte Sonja mit "Häschenschach!" - ein Zeichen von beginnender Nervosität wegen des Frosches und der glitzernden Minicherheitsbrosche.
Sie stellte auch ihre Figuren etwas eigenwillig auf, so dass sich mir Angriffspunkte boten und als sie am falschen Flügel spielte, fiel mir ein Mehrbauer quasi von selbst in den Schoß. Erst als ich über die offene c-Linie in ihr Lager einbrach, suchte sie Gegenspiel am Königsflügel, doch es kam zu spät.


Weiß in Nöten

Und schon nach weniger als zwei Stunden hatten wir frei und ich konnte endlich das Scheißhemd ausziehen, das unglaublich unbequem war und mich vielleicht doch viel mehr gestört hat als Sonja.
Außerdem konnten wir nun in aller Ruhe beobachten, was Wanja trieb, der übrigens das ganze Turnier über auf edlen Holzbrettern und mit digitalen Uhren spielen durfte (Bretter 1-20), während Sonja und ich schon früh im Plastikbereich gestrandet waren.

Wanja (mit Weiß) war der nominell stärkere Spieler, und der König seiner Gegnerin stand in der Mitte und unter Beschuss. Aber hatte er wirklich genügend Spiel für den Minusbauern? War das ein wanjascher Angriff, bei dem er immer neue Nickeligkeiten finden konnte, oder nur ein Strohfeuer?
Ich tendierte zu letzterem, aber bei Wanja weiß man ja nie…


Angriff? Minusbauer? Kompensation?

In der Stellung folgte 1. La3+, Ke8 2. Dc2 und nachdem Wanja die Uhr gedrückt hatte, bot seine Gegnerin Remis an. Wanja konnte sich noch Hoffnungen auf den Ratingpreis machen, und es war unklar, ob ein Remis dazu reichen würde. Aber angesichts des Minusbauern willigte er dann doch lieber ein.

Nun hieß es also: Warten, bis alle fertig sind und die Sieger geehrt werden.
Sonja verließ uns schon recht bald. Schade!

Wanja und ich vertrieben uns die Zeit mit Blitzen, normal, aus Chess960-Stellungen, und dann versuchten wir zum Schluss noch etwas sehr Interessantes und wahrscheinlich auch sehr Lehrreiches: eine Blitzpartie, bei der der eine ohne Läufer und der andere ohne Springer spielt.
Leider konnten wir das nicht ganz zu Ende bringen, denn mittlerweile waren alle Partien beendet.
Enttäuschenderweise reichte es am Ende für Wanja doch nicht zum Preis. Ein Konkurrent hatte heute kampflos gewonnen und damit einen halben Punkt mehr als er. Irgendwie ungerecht.

Fazit?
Das Turnier war einwandfrei organisiert, die Stimmung gut, die Leute haben sich im Großen und Ganzen benommen. Sonja und Wanja waren wunderbare Gesellschaft, die den Aufenthalt im Zoo (Raubtierkäfig! Haifischbecken!) versüßt hat.
Sportlich kann ich nicht zufrieden sein. Drei der vier Niederlagen waren schmerzhaft. Allerdings muss ich sagen, dass mir die beiden letzten Runden, als es um nichts mehr ging, richtig Spaß gemacht haben.
Vielleicht kann man irgendwelche Lehren daraus ziehen. Vielleicht ist aufm Brett gar nicht das Wichtigste.

[MarcR]